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Merilis Dentagora, die älteste Tochter von König Sinistar und Königin Malvina, stand auf dem hölzernen Balkon vor ihrem Schlazimmer und atmete tief die kalte Morgenluft ein. In der Ferne hörte man einen Kuckuck rufen, die Sonne würde in einer Stunde aufgehen.
Weit spreizte sie ihre schillernden Flügel ab und gähnte herzhaft. Ihre Mutter würde die Krise bekommen, wenn sie wüsste, dass Merilis schon auf war und in Begriff, ihre Gemächer zu verlassen. "Das geziemt sich nicht für eine Prinzessin, einfach so im Schloss herum zu stromern. Vor allem nicht um diese Tageszeit. Das entspricht nicht der Tradition." So oder so ähnlich würden die Worte ihrer Mutter lauten, wenn sie es wüsste. Überhaupt Tradition, Merilis verzog den Mund, Tradition bedeutete dem Volk der Pixies alles, doch würde es an der Tradition liegen, dass sie bald jegliche Freiheiten verlieren würde.
In einigen Wochen wurde sie 17 und damit offiziell erwachsen. Doch ihre Zukunft würde nicht daraus bestehen, dass sie einen Beruf erlernte, sich einen Mann aussuchte und ein friedliches Leben führte. Ihr Schicksal war durch die Tradition vorbestimmt. Sobald sie volljährig wurde, würde sie auf Schritt und Tritt von einer halben Armee begeleitet werden die verhindern sollten, dass sie von einem der männlichen Sprösslinge der angrenzenden Königshäuser entführt werden würde. Und die Prinzen würden alles daran setzen sie trotzdem zu entführen um sie anschließend zu heiraten. Soviel zum Thema freie Partnerwahl.
Ein leiser Pfiff riss Merilis aus ihren Gedanken. Sie sah Tamira, eine ihrer Wachen und ihre beste Freundin, die auf einem der Äste der großen Eiche in der die Pixies lebten, stand und ihr hektische Handzeichen gab. Eine der Wachen würde gleich an ihrem Zimmer vorbeikommen und wenn Merilis auf dem Balkon stehen blieb sie entdecken. Die junge Pixie zog sich in ihrZimmer zurück und zog eine Kiste unter ihrem Bett hervor. Sie schob einen Fächer und eine kaum angefangene Stickarbeit zur Seite, unverzichtbare Dinge für eine Prinzessin, jedenfalls aus Sicht ihrer Mutter. Unter dem Kram lag ein großer Beutel, der eine Rüstung der persönlichen Wache der Prinzessin enthielt, die perfekte Tarnung um sich unerkannt durch das Schoß zu bewegen.
Die Rüstung bestand aus einem leichten Brustpanzer, einem Helm sowie Arm und Beinschienen die aus den grüngold schillernden Chitinpanzern von Rosenkäfern gefertigt war.
Die Flügel wurden von einem dicht gewebten Netz aus Spinnenseide geschützt. Insgesamt war die Rüstung so leicht, dass es immer noch möglich war zu fliegen. Merilis befestigte das dunkelrote Tuch vor ihrem Gesicht, das dafür sorgte, dass nur noch ihre Augen zu sehen waren. Was auch immer der Grund dafür war, die Tradition verlangte, dass die königliche Wache ihr Gesciht verbarg. In diesem Fall kam ihr die Tradition mal zugute, denn auf diese Weise konnte sich Merilis durch das Schloss bewegen ohne dass es auffiel.
Nachdem sie die Rüstung angelegt hatte, huschte sie hinaus auf den Balkon und flog, nach einem Handzeichen von Tamira, dass die Luft rein war, zu ihrer Freundin
hinüber. "Guten Morgen Tam. Kommst du nach deiner Wachablösung noch mit zu Andarga? Ich war schon seit Tagen nicht mehr bei ihm und brenne auf Neuigkeiten." begrüßte Merilis ihre Freundin.
"Morgen Lis, zu dem alten Muffeltroll?" Tamira war nur mäßig begeistert. Es hatte nicht wenig geregnet die Nacht und obwohl die Rüstung wasserdicht war, war sie doch ziemlich durchgefroren. "Na wenns denn sein muss." Die Prinzessin überhörte den gegrummelten Protest ihrer Freundin, ein Resultat der königlichen Erziehung. "Wir sehn uns dann gleich da. Ich hab nur noch knapp zwei Stunden bis..." Sie kam nicht dazu, zu erwähnen was in zwei Stunden sein würde, denn Tamira zog sie auf einmal zu sich heran und schob sie hinter sich in eine Nische in der Baumrinde. Lautes Keckern schallte durch den Wald und auf einmal flitzte ein rötliches, bepelztes Lebewesen an ihnen vorbei, ein laut schimpfendes Eichhörnchen. Verfolgt wurde es von einem Baummarder. Der kleine Nager hangelte sich an einem Ast entlang, dicht gefolgt von seinem Jäger, während die Pixies ihnen mit besorgtem Blick nachsahen. Erleichtert atmeten die beiden jungen Frauen auf, als die Bedrohung vorüber war. Hätte der Marder sie erblickt, hätte es leicht passieren können, dass sie zur Beute auserkoren worden wären, immerhin war ein Pixie nicht viel größer als ein Eichhörnchen und aus Sicht eines Marders auch nicht schwerer zu Fassen.